Entspannung – zwischen Ruhe und Vollgas

Kann mal jemand leiser drehen? Der Satz schießt mir durch den Kopf, als ich am frühen Morgen im Garten sitze. Dabei hören die Nachbarn nicht zu laut Musik, sondern ich beobachte meinen Pensionsgast, eine zum Verlieben schöne Schäferhündin. Sie gibt mit Fiete Vollgas, während ich in der Morgensonne sitze und meinen Kaffee trinke.

Die Punk-Lady in Springerstiefeln

Obwohl sie für einen Schäferhund erstaunlich leise ist und kaum bellt, nehme ich sie als sehr laut wahr. Ein bisschen wie eine Punk-Lady mit Springerstiefeln und zerrissenen Strumpfhosen. Ich überlege seit Tagen, warum es diesen Unterschied in meiner Wahrnehmung gibt und dann fällt es mir ein: es ist ihre innere Lautstärke. Auf einem Pegel von 1 bis 10 läuft sie auf 17 und übertönt, ohne etwas zu sagen, ihre gesamte Umgebung.

Ihre Sinne geben den ganzen Tag Vollgas. Der Kopf schnellt hin und her, sie hat alles im Blick und im Ohr. Das Gehirn rattert und verarbeitet in rasender Geschwindigkeit alle Daten. Wenn ich sie ansehe, höre ich es hämmern. In dem Modus bekommt sie kaum noch was mit und das macht es anstrengend. Sie zerrt an der Leine, benimmt sich mit anderen Hunden wie ein Hooligan und will mit ihrem Betonschädel durch jede Tür. In der Erziehung redet man ständig gegen die Wand. Kein Kraut scheint gegen sie gewachsen zu sein.

Neben der Hämmer-Maschine gibt es in ihrem Kopf aber noch einen kleinen, wunderschönen Raum der Ruhe. Dort kann sie zuhören, ist geduldig, feinfühlig und denkt nach, bevor sie entscheidet. Wenn sie dort ist, döst sie in der Sonne, obwohl hinterm Zaun ein Hund bellt. Dann können die Kinder an ihr rumtüdeln. Dann kann sie stundenlang im Auto warten. In dem Raum ist sie leider sehr selten. 

Geübte Entspannung

Doch wie schafft man es, dass dieser Raum sich etabliert und sie sich öfter dort einrichtet? Es ist ziemlich simpel: die Entspannung, wenn sie dort ist, kann man mitnehmen und so den Raum Stück für Stück wachsen lassen. In wenig aufregenden Situationen nutzt man beispielsweise einen bestimmten Griff ins Fell, der sie beim Runterfahren unterstützt. Wenn das immer wieder geübt wird, verknüpft das Gehirn den Griff mit der Entspannung. Der ruhige Teil in ihrem Kopf wird wachsen und der hämmernde Teil bekommt immer weniger Raum.

Bei aller Theorie – in der Realität neigt sich unser Tag gerade dem Ende zu. Draußen dämmert es und ich sitze an meinem Schreibtisch, um diesen Text zu schreiben. Hinter mir schläft die Hündin tief und fest. Ich höre ihre tiefen, regelmäßigen Atemzüge. Ihr Gehirn sortiert alle Daten und ich lächle bei dem melodischen, leisen Summen, das ich in ihrem Kopf spüre.

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